Gleichwürdigkeit nach Jesper Juul in einer Gemeinschaft wie Teckids (Kick-Off "Pädagogik des Kennenlernens")

Seit einiger Zeit (siehe auch: Erarbeitung unseres neuen, übergreifenden Leitbildes für freies, dezentrales Lernen und Arbeiten) beschäftige ich mich mit der Frage, wie sich die Ideale von Freiwilligkeit und Verbindlichkeit in einer Organisation wie Teckids umsezten lassen. Nachdem wir uns bisher schon, besonders für Themen-Sessions, mit Maria Montessori beschäftigt hatten, habe ich in den letzten Wochen einige Bücher von Jesper Juul gelesen.

Als “Pädagogik des Kennenlernens” bezeichne ich als Arbeitstitel die Idee, das Prinzip der Gleichwürdigkeit, wie Jesper Juul es nennt, in einer Organisation wie Teckids anzuwenden. Dabei gibt es einige Herausforderungen, mit denen ich mich gerne mit anderen zusammen beschäftigen würde.

Kurzvorstellung der Grundideen von Jesper Juul

Diese Erklärungen sind nicht unbedingt im Vorfeld der Sessionreihe wichtig. Sie werden in der ersten Session ausführlich besprochen. SIe zu lesen, ist sicher eine gute Idee, wem es aber zu lang ist, kann trotzdem mitmachen und unten bei “Herausforderungen” weiterlesen.

Gleichwürdigkeit und persönliche Sprache

Das wichtigste Grundprinzip in der Pädagogik Jesper Juuls ist das der Gleichwürdigkeit, das wiederum auf der Idee der persönlichen Sprache basiert. Diese kennen wir, mit großen Unterschieden, auch aus der gewaltfreien Kommunikation. Persönliche Sprache bedeutet im Wesentlichen, konkrete Wünsche zu äußern, wodurch implizit alle auch respektieren, wenn die Wünsche einer anderen Person gegensätzlich sind.

Persönliche Sprache steht der sozialen Sprache direkt gegenüber. Ein Beispiel:

Damit wir unsere Ziele erreichen können, ist es notwendig, dass alle ausnahmslos zu den Campdays kommen.

Das ist soziale Sprache, da sie die Verantwortung für den Wunsch auf die Gemeinschaft überträgt.

Ich habe die Campdays organisiert und möchte, dass alle daran teilnehmen.

Das ist persönliche Sprache, weil man selber die Verantwortung für den Wunsch übernimmt. Eine Begründung ist bei Jesper Juul sogar optional, aber obigen Satz könnte man leicht ergänzen, z.B.:

Ich habe die Campdays organisiert und möchte, dass alle daran teilnehmen, denn ich möchte, dass wir uns treffen und für ausgefallene Sessions keinen Ersatz organisieren müssen.

Das klingt erstmal unfreundlicher, aber tatsächlich täuscht das.

Die soziale Sprache appeliert an dir Moral des anderen und suggeriert damit, dass es objektiv schlecht sei, eine andere Entscheidung zu treffen. Damit geht eine Verletzung der Integrität einher, da sich der andere nun zwischen “sich unterordnen” und “objektiv schlecht sein” entscheiden muss.

Die persönliche Sprache übernimmt Verantwortung, was meistens ehrlich ist. Denn die Ziele der Gemeinscahft, im obigen Beispiel, leiden wahrscheinlich gar nicht unter der Abwesenheit. Die Konsequenz könnte sein, dass etwas neu organisiert werden muss, was persönlichen Aufwand bedeutet.

Der Effekt der persönlichen Sprache ist, dass nun die Beteiligten verhandeln und dazwischen entscheiden können, wessen Integrität in welchem Maße verletzt wird. Weil alle Beteiligten persönlich reden, können sie aber beide gleich gut mit dieser Verletzung leben und daher eine freie Entscheidung treffen.

Nützlichkeit für die Gemeinschaft

Jesper Juul geht davon aus, dass grundsätzlich jedes Mitglied einer Gemeinschaft nützlich sein will. Wenn die Kooperation mit den Wünschen von anderen in der Gemeinschaft also möglich ist, dann wird sie auch stattfinden. Ausbleiben wird sie dann, wenn das eine “unerträgliche” Verletzung der persönlichen Integrität bedeuten würde. Dann ist eine Grenze erreicht, die nicht überschritten werden darf (aus Machtausübung würde dann Gewalt).

Qualität eines Konfliktes

Konflikte sind unabdingbar und nach Jesper Juul elementarer Bestandteil “jeder funktionierenden Beziehung”. Eine konfliktfreie Beziehung, und damit eine konfliktfreie Gemeinschaft, existiert nicht. Wenn eine Beziehung oder Gemeinschaft konfliktfrei wirkt, dann bedeutet das, dass die tatsächlich vorhandenen Konflikte internalisiert sind, d.h. von den Beteiligten mit sich selbst ausgetragen werden. Das führt immer zu “selbstzerstörerischem” Verhalten. Konflikte müssen daher offen miteinander ausgetragen werden.

Ein Konflikt ist also ansich etwas Gutes und ein gleichwürdig, offen ausgetragener Konflikt ist ein Zeichen einer funktionierenden, gesunden Beziehung oder Gemeinschaft. Allerdings können Konflikte unterschiedlicher Qualität sein. Gleichwürdig ausgetragene Konflikte (ohne “Kränkungen”) haben eine gute Qualität.

Jesper Juul hat eine klare Sicht zu Verantwortung: Kinder (Anmerkung: Jesper Juul ist Familientherapeut, deshalb redet er meistens von Kindern und Erwachsenen) können altersgemäß verschiedene Formen von Verantwortung übernehmen. Eine bestimmte Verantwortung haben aber grundsätzlich immer die Erwachsenen: Die für die Qualität eines Konfliktes. In jedem Konflikt zwischen Erwachsenen und Kindern sind die Erwachsenen alleine dafür verantwortlich, dass die Qualität gut bleibt, also keine “Kränkungen” stattfinden.

Anerkennung statt Lob

Ausgehend davon, dass jeder Mensch für eine Gemeinschaft nützlich sein will, geht Jesper Juul davon aus, dass Lob und Kritik in den meisten Fällen gewaltvoll sind (das findet sich auch in der GfK wieder). Das natürliche Bestreben, etwas zu leisten, wird damit moralisiert. Stattdessen plädiert Juul dafür, Verhaltensweisen offen anzuerkennen und zu “würdigen”. “Würdigen” heißt hier nicht “gutheißen”, sondern zu zeigen, dass man sie wahrgenommen hat und nicht zu werten. So genanntes “antisoziales” Verhalten, d.h. Verhalten, das andere verletzt, ist ein Zeichen davon, dass die persönliche Integrität unerträglich verletzt wurde und keine passende Bewältigungsstrategie mehr vorhanden ist.

Anerkennung ermöglicht, dass selbstbestimmt um direktes Feedback (in Form von Lob und Kritik oder Ratschläge) gebeten werden kann.

Herausforderungen

Jesper Juul ist Familientherapeut und geht deshalb davon aus, dass die gesunde Entwicklung eines Kindes zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit mit hohem Selbstgefühl das einzige pädagogische Ziel sein sollte. Das gilt für die Familie, in der keine erzieherische Agenda verfolgt werden sollte.

In einer Gemeinschaft wie Teckids verfolgen wir aber gemeinsame Ziele und stellenweise auch eine erzieherische Agenda.

Wir müssen daher vor allem überlegen, wie sich das Prinzip der Gleichwürdigkeit anwenden lässt, ohne unsere Ziele zu gefährden.

  • Muss es verpflichtende Termine geben?
  • Welche Art von Macht hat wer, und übt sie legitimerweise aus?
  • An welchen Stellen verfolgen wir eine Agenda, und warum?
  • Welche Schwierigkeiten sind zu erwarten, wenn Kinder anders sozialisiert wurden und deshalb Lob statt Anerkennung erwarten?

Session-Reihe

Diese Thematik würde ich gerne in einer dreiteiligen Session-Reihe vertiefen:

  1. Einführung in die Grundzüge mit Diskussion und Erfahrungsaustausch
    • Gleichwürdigkeit nach Jesper Juul
    • Freiarbeit nach Maria Montessori
    • Gewalfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg
    • Gesprächsführung nach Martine Delfos
  2. Herausforderungen identifizieren und lösen
    • Planspiele aus Vereins-Situationen
  3. Pädagogik des Kennenlernens
    • Grundzüge aus den obigen Pädagogiken sammeln
    • Leitlinien formulieren
    • Follow-Up-Workshops identifizieren

Interesse

Bitte bekundet hier schnell euer Interesse und schreibt dazu (hier oder per Chat), wann ihr zwischen heute und dem 16. Juli weg seid und daher nicht teilnehmen könntet. Genaue Termine und ob in Präsenz oder online plane ich dann.

  • Ich habe Interesse, an der Session-Reihe teilzunehmen
0 Teilnehmer

Ich bin vom 6. bis 13. verreist.

Moin, ich bin von Jetzt bis mindestens KW 29 und bei Verlängerung bis Anfang KW 31 hier Besuchbar

https://www.jugendherberge.de/jugendherbergen/mardorf/

Die Jugendherberge hat freundliche Räume leckeres Frühstück und einen sehr freundlichen Herbergsvater.

Ein Kletterpark ist fußläufig https://www.seatree.de/

Viele Gruppenaktionen sind hier möglich

Internet via LTE ist OK.

Beste Grüße vom Steinhuder Meer